Felchen, Felchen, wo seid ihr geblieben? Claude Delley, Berufsfischer
15.06.2022

Felchen, Felchen, wo seid ihr geblieben?

Claude Delley, Berufsfischer


Felchen, Felchen, wo seid ihr geblieben?

Christelle Grangier

Ausfahrt ab Portalban mit Claude Delley, einem von 30 Berufsfischern auf dem Neuenburgersee.
 

Die Sonne ist noch nicht zu sehen über dem Fischereihafen Portalban, als Claude Delley und sein Sohn Cyrille auf ihrem zuverlässigen Motorboot Zouzou ausfahren. Auch der Wind hat noch nicht aufgefrischt, der See ist glatt, das Wasser bricht sich sanft am Ufer und kündigt einen angenehmen Mai-Tag an. Claude Delley ist zuversichtlich, dass die Ausfahrt gut verlaufen wird, «aber wir werden nicht viel fangen». Die Prognose wird sich bewahrheiten: Der Fang in den Netzen und Reusen wird bescheiden ausfallen.
 

In den Maschen des Netzes

Heute begibt sich die Zouzou auf die Suche nach Felchen und nimmt Kurs auf die ersten Netze, die nicht weit von Portalban entfernt ausgelegt sind. Die mit Bojen gekennzeichneten Netze sind 10 m hoch und 100 m breit. Die Fischer befestigen die Seile, an denen die Netze hängen, an einer Vorrichtung, die es ihnen erlaubt, die Netze zu heben. Das ganze Netz geht durch die Hände von Claude Delley, er sortiert die Fische, die sich in den Maschen von 32 mm Durchmesser verfangen haben – ein erstes, grobes Mass. Der Fischer aus Portalban hätte Anrecht auf acht vertäute Netze, er hat aber nur deren sechs ausgeworfen, an verschiedenen Stellen zwischen Portalban und der Seemitte. «Die Fischereierträge sind so mager, dass die Mehrkosten für das zusätzliche Material nicht gedeckt werden könnten», erklärt Claude Delley, der sich zudem vor den Schäden in Acht nehmen muss, die durch die Quagga-Muschel verursacht werden. Und er lag richtig: in den sechs Netzen findet er gerade mal dreissig Felchen.

 

 

Nebensaison

 Auch wenn er das ganze Jahr über fischt und sich dabei durch die Laichperioden der verschiedenen Fischarten hangelt, sind die Monate April bis Juni nicht wirklich ergiebig, die Hochsaison findet in den Monaten September bis November statt. «Wir wissen, dass wir fast den gesamten Jahresumsatz innert drei Monaten erzielen müssen», sagt Claude Delley, der die Berufsfischer-Lizenz seit über 40 Jahren besitzt. Er weiss: Man muss die Natur machen lassen. Andererseits erschrecken ihn die Veränderungen in den Gewässern, etwa die Verbreitung der Quagga-Muschel und der dramatische Rückgang der Fischbestände. Die Süsswassermuschel schadet dem Material und dem Lebensraum der Fische, und die Fischfangquoten sinken unaufhörlich.
 

Geflügelte Fischer

Es gibt zahlreiche Faktoren, die für den Rückgang verantwortlich zeichnen. Für Claude Delley sind die Kormorane die Hauptschuldigen. Die Lage auf dem Neuenburgersee ist umso kritischer, als er die Hälfte sämtlicher Kormoran-Kolonien in der Schweiz beherbergt. Der stromlinienförmige Körper macht aus diesen Vögeln effiziente Jäger, die bis zu 30 Meter unter die Wasseroberfläche tauchen können. Sie beschädigen nicht nur die Netze der Fischer – ein Kormoran vertilgt jeden Tag zwischen 300 und 500 g Fisch. Das Problem ist nicht die Menge, sondern der Umstand, dass sie links und rechts räubern, ohne die Grösse der Fische zu beachten. Aus diesem Grund fallen den dezidierten Jägern zahlreiche Jungfische zum Opfer, bevor sie an Gewicht zulegen und sich fortpflanzen konnten.

 


Engagierte Fischer

Die Berufsfischer stehen dem Anwachsen der Kormoranpopulation einerseits verzweifelt und andererseits machtlos gegenüber: Innert 10 Jahren hat sich die Anzahl der Kormorane versechsfacht. Claude Delley und seine Berufskollegen setzen sich seit mehreren Jahren für eine Lösung ein, allerdings ist der Kormoran gesamteuropäisch seit 1979 eine geschützte Spezies. Die Fischer fordern mit Nachdruck eine Regulierung, wie das auch für andere Tierarten der Fall ist. Seit 2019 dürfen Wildhüter zwischen September und März Kormorane abschiessen. Gemäss den Wildhütern und Wissenschaftlern sind die Vögel allerdings nicht der einzige Grund für den Fischmangel: Mitverantwortlich sind auch Mikroschadstoffe, die Erwärmung des Wassers und fehlende Nahrung.
 

Reusen für Eglis

Zurzeit ist aber weit und breit rund um Zouzou kein Kormoran zu sehen. «Frühmorgens bleiben sie am Ufer, davon müssen wir profitieren». Claude und Cyrille nehmen Kurs auf die ausgelegten Reusen, mit denen Eglis gefangen werden. Aber auch hier ist die Ausbeute enttäuschend, der Fang aus den vier gehobenen Reusen reicht kaum dazu aus, einen Teller zu füllen. Ab 1. Juni – an diesem Datum geht die Schonzeit für das Egli zu Ende – wird Claude Delley zusätzliche Reusen auslegen und damit im Prinzip seine Ausbeute vervielfachen können.
 

 

Warten auf die Felchen-Hochsaison

Zwei Stunden nach der Ausfahrt ist das Boot wieder sicher im Hafen vertäut. Die Ausbeute: eine einzige Kiste mit Fischen. Es ist Zeit, den Fang zu verarbeiten. Die Fische kommen in eine Maschine, in der sie entschuppt und filetiert werden. Jedes Stück wird anschliessend noch von Hand bearbeitet, dabei werden die Reste von Gräten und Flossen vollständig entfernt. Von den Felchen können letztlich 50 % weiterverwendet werden, von den Eglis nur 30 %. Heute bleiben Claude Delley 3 Kilo Felchenfilets und 150 Gramm Eglifilets. «Das reicht grad für das Benzin, das wir für die Bootsfahrt verbraucht haben».
 

Ausschliesslich im Direktverkauf

Claude Delley verkauft seine frischen Produkte an – oft langjährige – Privatkunden, welche die Ware vorreserviert haben. Normalerweise ist er jeden Samstag am Markt in Neuenburg zu finden, aber seit April 2022 war er nicht mehr dort: Ihm bleibt zu wenig Ware, die er verkaufen könnte. Er lässt sich davon nicht vollständig entmutigen. Er hat in seinem Geschäftslokal eine Vorrichtung installiert, mit der er Grossfelchen und Forellen kalt und Mittelfelchen und Forellen warm räuchern kann. Er diversifiziert damit seine Tätigkeiten und überbrückt das Warten auf bessere Zeiten – die wir ihm von Herzen wünschen.


Website: www.delley.ch