Christelle Grangier
In den Anstalten von Bellechasse werden Garten- und Feldarbeiten nicht nur ausgeführt, damit das Gemüse auf den Feldern und in den Gewächshäusern heranwächst. Mit der Arbeit soll auch das Resozialisierungs- und Wiedereingliederungspotenzial der Insassen erweitert werden. Ein Abstecher nach Bellechasse, begleitet von Théo Lohm, dem Leiter des Bereichs Gemüse.
Der grösste Gemüsegarten der Schweiz wird von den Anstalten Bellechasse betrieben und erstreckt sich über fast 17 Hektaren, rund um «La Sapinière» in der Nähe von Sugiez. Die Aussenstelle von Bellechasse liegt 3 Kilometer von den Hauptgebäuden entfernt. Der Betrieb beschäftigt 15 Insassen im offenen Strafvollzug. Geleitet wird das Ganze von Théo Lohm, einem Mann mit einem reichen Erfahrungsschatz. Der gebürtige Berner schloss die landwirtschaftliche Meisterprüfung ab, bevor er erfolgreich die höhere Fachprüfung Arbeitsagogik absolvierte. Er ist nun seit über 20 Jahren im Strafvollzug tätig und hat sich zusätzlich zum Vollzugsangestellten ausbilden lassen.
Etwas anstossen und es wachsen lassen
Die Insassen der Sapinière wurden zu niedrigen Strafen verurteilt, die bis zu fünf Monate betragen. Die Strafen können im offenen Vollzug abgesessen werden. Unterstützt wird Théo Lohm von einem Sozialarbeiter und weiteren Mitarbeitenden – letztere sind alle gleichzeitig Gemüsebauern und Vollzugsangestellte. Ihre Aufgabe ist es, die 15 Insassen in der Sapinière zu begleiten und zu versuchen, sie davon zu überzeugen, eine Ausbildung zu absolvieren. «Wir strecken die Hand aus, und sie ergreifen sie oder halt eben nicht.»
Das richtige Umfeld
Die Hände werden auch anderweitig gebraucht, es gibt immer viel zu tun auf dem riesigen Betriebsgelände. Allerdings müssen die Aufgaben mit Bedacht verteilt werden, man muss sein Team «lesen» können, die Aufgaben sorgfältig dosieren: zuviel Arbeit schreckt ab, zuwenig Arbeit demotiviert. Sommers wie winters kümmern sich die Insassen um die Gemüsekulturen und werden dabei vom Begleitteam gecoacht. «Unsere Arbeit auf dem Feld reicht von der Aussaat bis zur Ernte. Das lässt sich auch auf die Insassen übertragen, wir erleben mit, wie sie sich entwickeln und wie sie wachsen, genau wie die Pflanzen», führt Théo Lohm aus.
Produktive Wiedereingliederung
Théo Lohm sieht die Arbeit mit der Erde und dem Boden mit den Augen des Ausbildners. Er erkennt darin die Möglichkeit, den Personen, die vom Weg abgekommen sind oder sich noch nicht gefunden haben, zu zeigen, wie wichtig eine Verwurzelung ist. So gesehen ist die Produktivität nicht das oberste Ziel, auch wenn der Gemüsebetrieb voll operativ funktioniert. In der Sapinière formen und führen wir, und wir lassen wachsen. «Wir testen auch», wie Théo Lohm ausführt: «Manchmal werden uns Projekte übertragen, die viel Zeit erfordern und die Privatunternehmer selbst nicht ausführen möchten. So haben wir beispielsweise letztes Jahr für ein grosses Unternehmen Minigemüse gezogen. Wir haben auch Versuche angestellt mit mehreren Formen von Bohnenkulturen».
Umstellung auf Bio
Auf den Rhythmus und die Art jedes einzelnen zu hören ist eine Anforderung, die aus Sicht der Nachhaltigkeit auch für die natürliche Umwelt gilt. Deshalb will Bellechasse auf bio umstellen. 2020 ist bereits das zweite Jahr, in dem die entsprechenden Vorkehrungen getroffen werden. Die Umstellung macht in den Augen von Théo Lohm Sinn. Er hat das Prinzip bio schon immer unterstützt, die Umstellung bringt aber auch 20 % mehr Arbeit mit sich. Das ist vor allem auf die Unkrautbekämpfung zurückzuführen, die nun von Hand erledigt werden muss. «Wichtig ist, dass nichts überstürzt wird. Unser Gehirn muss ein `reset` vornehmen, um anders denken zu können. Anschliessend müssen wir Prozesse aufgleisen, um überhaupt etwas Neues schaffen zu können. Je weiter wir auf unserem Weg vorwärts kommen, desto mehr wird uns bewusst, dass der Teufel im Detail liegt», führt er aus. Die Umstellung stösst bei den Insassen auf offene Ohren, einige lassen sich durchaus begeistern. «Einer hat sogar von sich aus Bücher bestellt zum Thema nachhaltige Gemüsekultur. Beim Lesen kamen ihm Ideen, und daraus entwickelte sich ein schöner Austausch», fügt der Bereichsleiter an. Zurzeit strebt einzig der Bereich Gemüse das Label «Die Knospe» an; die Leiter der Bereiche Fleisch, Milch und Getreide werden die Möglichkeit in Betracht ziehen, sobald die Umstellung auf Bio in der Sapinière abgeschlossen ist.
Auf dem Weg zu einer Zertifizierung «Terroir Fribourg»
Für Théo Lohm erscheint es logisch, dass er die Produkte, die er im Freiburgischen produziert, von Terroir Fribourg zertifizieren lässt. «Ein Projekt mehr im Jahr 2020», wirft er ein. Für ihn geht die Zertifizierung Hand in Hand mit der Umstellung auf Bio. «Die Zertifizierung Terroir Fribourg wertet die Herkunft auf und betont den Respekt für die Erde und den Boden», gibt er sich überzeugt.
Den Winter auf dem Teller
Neben den Hektaren mit offenem Feld kann die Sapinière auch ein paar Gewächshäuser nutzen. Ein einziges dieser Gewächshäuser wird während der kältesten Monate mit Holz geheizt. In ihm werden Nüssler, Salate und Radieschen gezogen. Auf den Feldern warten Rosenkohl und Lauch darauf, geerntet zu werden. Der grösste Teil der während des Herbstes geernteten Produktion wird aber in Kühlräumen bei 5° C gelagert. So können über den Winter über im Laden der Sapinière verschiedene Kohlsorten, Chinakohl, Zuckerhut, Schwarzwurzel, Rüebli, Rüben, Randen und Kartoffeln erworben werden. Der Laden ist während der ganzen Woche von 13.45 bis 16.45 geöffnet. Der grösste Teil der Produktion der Sapinière geht aber an die Küchen der Bellechasse-Anstalten. Ein paar Restaurants im See- und im Sensebezirk beziehen ihre Waren ebenfalls von der Sapinière.
Das Erwachen der Natur im Frühling
Während die Natur im Winter in Kälte und Nebel schläft, erwacht sie im Frühling zu neuem Leben und bringt viel Arbeit in den Feldern mit sich. Der Frühling ist eine anforderungsreiche Zeit für das Personal der Sapinière. Es geht Schlag auf Schlag: Als erstes müssen die Spargeln – die Spezialität des Betriebs – und die Rhabarbern geerntet werden, es folgen zahlreiche weitere Frühgemüse. Eines ist sicher: Wer die Erde bearbeitet, hat während des ganzen Jahres Gemüse auf seinem Teller!
Christelle Grangier, Februar 2019
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