Schafscheid in Jaun, eine lockige Herbsttradition
12.10.2022

Schafscheid in Jaun, eine lockige Herbsttradition

Jaun


Schafscheid in Jaun, eine lockige Herbsttradition

Von Christelle Grangier

Jedes Jahr am Montag nach dem Bettag feiert Jaun die Schafscheid. Im Zentrum stehen selbstverständlich die Jaunerinnen und Jauner, aber auch die Schafe – Dürfen wir Sie in das Fest, määääh, entführen?

 

Um 7 Uhr an diesem Septembermorgen ist überall auf der Ried-Weide oberhalb Jaun schon mächtig Betrieb. Der Herbst steht vor der Türe, die Sömmerung neigt sich ihrem Ende zu. Seit Morgenanbruch profitieren um die 350 Schafe vom unverstellten Blick auf die Gastlosen-Kette. Sie sind heruntergekommen vom treffend bezeichneten Schafberg, wo sie den Sommer auf einer Höhe zwischen 2000 und 2200 Metern verbracht haben. Dort oben haben sie während mehr als zwei Monaten alles abgegrast. Während sie auf den festlichen Abstieg warten, weiden sie ruhig unter der Aufsicht von drei Herdenschutzhunden, die sofort Laut geben, wenn jemand dem Zaun auch nur ein bisschen zu nahe kommt. In ein paar Stunden werden die Schafe die Stars der Schafscheid sein, einem Herbstmarkt im deutschsprachigen Greyerzerdorf Jaun.

 

 

Gegen 7.30 Uhr treiben die Hunde und die Schäfer ihre Schutzbefohlenen zusammen. Die Schafe steigen entlang des Oberbachs hinunter, gelenkt von etwa zwanzig Schäferinnen und Schäfern jeden Alters. Sie tragen alle rot und schwarz karierte Hemden und sind mit einem Holzstab ausgerüstet. Ein paar hundert Meter weiter unten machen die Tiere Halt in einem provisorisch erstellten Gehege, in dem sie von fleissigen Händen mit Blumen geschmückt werden oder ihnen dekorierte Zweige um den Bauch gebunden werden. Sobald alles bereit ist, kann der Umzug losziehen.

 

Im Dorf wartet die Menge bereits. Dieses Jahr haben sich gegen 5000 Personen nach Jaun aufgemacht, um dem Schafabzug und dem Abschluss der Alpsaison beizuwohnen. Der Schaftrupp zieht um Punkt 9 innert weniger Minuten am Publikum vorbei – wer will, hat aber anschliessend den ganzen Morgen Zeit, die Schafe zu begutachten. Denn bevor die ganze Schar je nach Besitzer auf kleinere Gruppen aufgeteilt wird, bleiben alle friedlich beisammen in einem eigens erstellten grossen Gehege.

 

Die Schafe der Herde gehören nämlich verschiedenen Züchtern. Wie der Name besagt, hat die Schafscheid zum Ziel, die Schafe wieder an ihre jeweiligen Besitzer zu übergeben. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Kennzeichnungen (Marke am Ohr oder Farbzeichen auf dem Fell) werden die Schafe, eben: geschieden und auf kleinere Gehege aufgeteilt. Ein Offizieller kontrolliert jedes Gehege, ohne dessen Zustimmung kann kein Schaf herausgenommen werden.

 

Ein Teil der Schafe wird vor Ort verkauft. Viehhändler und Züchter warten auf das Verdikt der Mitglieder der Kommission, welche die Schafe begutachtet. Die Schätzung erfolgt nach Gewicht, Wolle und Korpulenz des Tiers. Jaun wurde 1494-1495 von der Freiburger Regierung das Recht eingeräumt, einen Markt abzuhalten. Anfangs fand dieser Markt jeweils an einem Samstag Mitte September statt. Da sich der Markt üblicherweise bis in die frühen Morgenstunden erstreckte, gingen die Kirchgänger dazu über, die Folgen der langen Nacht im Bett statt in den Kirchenbänken zu verdauen. Das wiederum war zuviel des Guten für den Pfarrer, der dafür sorgte, dass der Markt auf den Montag verschoben wurde – so konnte er seine «Schäfchen» am Sonntag wach und nüchtern in der Kirche zur Messe begrüssen…

 

Dass die Schafscheid nun am Montag nach dem Bettag stattfindet, kann die Jauner und die zahlreichen Besucherinnen und Besucher allerdings nicht davon abhalten, gutes Essen zu geniessen. Und es gibt zahlreiche Versuchungen! Schon in den ersten Feststunden wird im Dorfzentrum ein Markt eröffnet. Die beiden Bäckereien – jene der Familie Buchs ist weit herum bekannt für seine Lebkuchen, und die Bäckerei Les Arcades kennt man bereits sehr gut aus Epagny (im Jogne-Tal), bieten Spezialitäten an: Holzofenbrote, Cuchaule AOP und Kilbi-Senf lassen das Wasser im Mund der Gäste zusammenlaufen. Charcuterie- und Käsestände mit Produkten aus der Region und von weiter her runden das Angebot ab.

 

Nach Abschluss des Markts geht das Fest in den Restaurants von Jaun und dem Weiler Im Fang weiter. Es gibt Lamm auf jede erdenkliche Art! Zudem wird das traditionelle Kilbi-Menu aufgetragen: Kabissuppe, Schinken und Pökelfleisch (Salaisons), begleitet von Kabis und Kartoffeln, dann aber auch Gigot. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Kilbi von Jaun mitten im Sommer stattfindet (am Jakobstag). Auch die Schafscheid verdient ihr Festmahl! In einem anderen Gasthof wird Lammragout oder -braten mit Büschelibirnen und Kartoffelkroketten serviert. Die Mahlzeiten werden unterbrochen von lüpfiger Ländermusik – und sie werden natürlich auch ausgiebig begossen. Nach Sonnenuntergang sind die Jauner wieder unter sich – und stossen an auf die nächste Schafscheid.